Erhöhen chronische Krankheiten auch die Verwaltungskosten?
In der Forschung werden die Verwaltungskosten von Krankenversicherungen oft vernachlässigt. Unsere Analyse zeigt jedoch, dass chronische Krankheiten zu deutlich mehr Kontakten mit der Krankenversicherung führen.
Die Prämie einer Krankenversicherung muss neben den medizinischen Kosten auch die Verwaltungskosten der Versicherung decken. Die gesundheitsökonomische Literatur der letzten Jahrzehnte hat mit der immer besseren Datenverfügbarkeit hinlänglich gezeigt, dass die medizinischen Kosten individuell stark variieren. Eine entsprechende Analyse der individuellen Verwaltungskosten fehlt jedoch. In der theoretischen Analyse der Krankenversicherung werden die Verwaltungskosten meist entweder als konstant pro Kopf angenommen oder gar nicht erst berücksichtigt.
Wenig Forschung zu Verwaltungskosten
Es gibt zwei Gründe dafür, warum Verwaltungskosten bisher wenig untersucht wurden: Erstens ist es grundsätzlich schwierig, einzelne Komponenten der Verwaltungskosten auf eine bestimmte Person aufzuteilen. Viele Aufgaben einer Versicherung, wie das Berechnen der Prämien oder das Verhandeln mit Ärzten, hängen nicht direkt mit einzelnen Versicherten zusammen. Dennoch scheint es plausibel, dass häufiger kranke Personen mehr Verwaltungskosten generieren als eher gesunde. Das liegt daran, dass es auch zahlreiche Tätigkeiten gibt, die ein Versicherer eher für kranke Personen erbringt, so zum Beispiel Rechnungsstellung, Leistungsprüfung, Inkasso. Aber auch hier ist es teils schwierig, diese Kosten genau einer Person zuzuordnen. Zweitens mangelt es oft an Daten. Häufig sind nur Gesamtkosten, wie die Kosten für Infrastruktur oder Personal, verfügbar, die keine Rückschlüsse auf einzelne Versicherten zulassen.
Kundenkontakte als Lösung
Deshalb haben wir uns auf eine Komponente der Verwaltungskosten fokussiert, die von den genannten Problemen nicht betroffen ist: Kundenkontakte können sehr einfach einer Person zugewiesen werden. Bereits aus der deskriptiven Analyse lassen sich spannende Erkenntnisse gewinnen. Das Geschlecht spielt nur in jungen Jahren eine Rolle. Lediglich Frauen im gebärfähigen Alter suchen deutlich häufiger als junge Männer Kontakt mit der Versicherung. Im höheren Alter ist die Kontaktaufnahme unabhängig vom Geschlecht höher. Weshalb diese Unterschiede bestehen, haben wir in unserer Studie jedoch nicht weiter untersucht.
Einfluss von chronischen Krankheiten auf Verwaltungskosten
Unsere Hauptfrage war, ob Menschen mit chronischen Krankheiten – die oft hohe medizinische Kosten haben – auch häufiger mit ihrer Krankenversicherung in Kontakt treten. Um eine kausale Aussage treffen zu können, brauchen wir eine Kontrollgruppe, die zeigt, was mit den Kundenkontakten passiert wäre, wenn die Person nicht chronisch krank geworden wäre. Wir zeichnen also den Verlauf der Kundenkontakte über zwei Jahre von Kunden, die keine chronische Krankheit entwickeln. Dies entspricht der roten Linie in der Grafik oben. Zusätzlich verwenden wir zwei weitere Kontrollgruppen. Die rosa Linie zeigt den Verlauf der Kontakte von Kunden, die gar keine Krankheitskosten abrechnen. Diese soll Kundenkontakte messen, die unabhängig von einer Krankheit stattfinden (zum Beispiel Antrag auf Adressänderung). Die dunkelblaue Linie zeigt Kontakte von Kunden, die ein Jahr früher mit einer chronischen Krankheit klassifiziert wurden als die Gruppe, deren Verlauf uns hauptsächlich interessiert (hellblau). Allein diese drei Kurven zeigen uns jedoch bereits, dass Kunden mit einer chronischen Krankheit anhaltend mehr Kundenkontakte aufweisen. Verglichen nun mit der dunkelblauen Kurve, die Kunden beinhaltet, die zum Zeitpunkt 0 als chronisch krank klassifiziert werden, ist die Annahme, dass dieser Zusammenhang kausal ist, sehr glaubwürdig: Vor der chronischen Krankheit haben diese Kunden fast gleich viele Kontakte wie Kunden ohne chronische Krankheit. Bereits vor der Klassifizierung nehmen die Kontakte zu, erreichen beim Zeitpunkt der Klassifizierung ihren Höhepunkt und bleiben auch danach auf einem hohen Level.
Interessanterweise fanden wir keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen oder zwischen älteren und jüngeren Menschen, wenn sie chronisch krank werden – alle hatten ähnlich viele Kontakte zur Versicherung.
Zusätzliche Analysen
Um sicherzugehen, dass unsere Ergebnisse verlässlich sind, haben wir spezielle Kategorien von Kundenkontakten betrachtet, bei denen wir sicher sein konnten, dass sie mit einer Krankheit zusammenhängen – zum Beispiel Anfragen von Ärzten oder Krankenhäusern. Bei diesen Kontakten war der Anstieg bei chronisch Kranken noch deutlicher zu sehen. Bei Anträgen, die nichts mit dem Gesundheitszustand zu tun haben, wie Adressänderungen, gab es dagegen keine Unterschiede zwischen den Gruppen. Kundenkontakte stellen aber nur einen Teil der Verwaltungskosten dar. Wie sieht das bei den übrigen Verwaltungskosten aus? Dazu analysierten wir die Verwaltungskosten aggregiert auf der Ebene der Versicherer. Das Bundesamt für Gesundheit publiziert jährlich die Verwaltungskosten pro Versicherer. Als Krankheitsmass für das Kollektiv verwendeten wir die Risikoausgleichszahlungen. Unsere Analyse bestätigt den oben gezeigten positiven Zusammenhang auch auf Versichererebene. In einem verwandten, bereits publizierten Papier haben wir gezeigt, dass dieser Zusammenhang auch in vier anderen Ländern gilt.