Prämien­verbilligung

Geld- oder Sachtransfers gegen finanzielle Probleme?

In der Schweiz unterstützt der Staat rund ein Viertel der Bevölkerung bei der Bezahlung ihrer Krankenkassenprämien, damit auch Menschen mit niedrigerem Einkommen diese finanzielle Belastung tragen können. Doch wie sollte diese Unterstützung gestaltet sein, um möglichst wirksam zu helfen?

Nicolas Schreiner
Hauptautor
Autorinnen und Autoren

Seit 1996 muss jede Person in der Schweiz eine Krankenversicherung abschliessen. Gleichzeitig sind die Krankenkassenprämien nicht vom Einkommen abhängig, was für einkommensschwache Haushalte eine grosse finanzielle Belastung darstellt. Um die Solidarität zwischen Personen mit unterschiedlichen Einkommen zu gewährleisten, müssen die Kantone Versicherten in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen mit Prämienverbilligungen unterstützen. Heute fliessen von Kantonen und Bund jedes Jahr etwa fünf Milliarden Franken in die Sozialleistung, und mehr als jeder vierte Versicherte bekommt seine Prämien zumindest teilweise vom Staat bezahlt.

Geld oder reduzierte Prämien?

Doch wie bei jedem bedarfsabhängigen Unterstützungsprogramm stellt sich die Frage, wie diese Transferzahlungen an die Empfänger gelangen. Einige Kantone entschieden sich, den Betrag Anfang Jahr direkt auf das Bankkonto der jeweiligen Empfänger zu überweisen. Bei diesen sogenannten “Geldtransfers” bezahlen Empfänger von Prämienverbilligungen dann die vollen Prämien selbst, wie alle anderen Versicherten auch. Andere Kantone hingegen überweisen das Geld direkt an die Krankenkassen, die die Prämienrechnung der Empfänger entsprechend kürzen. Das Ziel dieser sogenannten „Sachtransfers“ ist es, sicherzustellen, dass die Unterstützung tatsächlich für die Krankenversicherungsprämien verwendet wird. Bislang gab es weltweit jedoch kaum wissenschaftliche Evidenz dazu, ob Geld- oder Sachtransfers finanzielle Probleme wirksamer verhindern.

Einfache Kantonsvergleich bezüglich Zahlungsausständen bei den Krankenkassenrechnungen hätten aber überraschenderweise gezeigt, dass in Kantonen mit Geldtransfers weniger Zahlungsausstände auftraten.

Harmonisierung Auszahlungssystem

Dennoch beschloss das Schweizer Parlament 2012, Prämienverbilligungen nur noch als Sachtransfers zu erlauben. Damit mussten alle Kantone, die bis dahin noch Geldtransfers nutzten, ab dem 1. Januar 2014 die Prämienverbilligung auf Sachtransfers umstellen. Für die anderen Kantone änderte sich jedoch nichts, sie können also wie in einem klinischen Experiment als Kontrollgruppe fungieren. Aus Forschungssicht ist dies ein Glücksfall, denn ein solches “natürliches Experiment” ermöglicht die kausale Wirkung von Sach- und Geldtransfers auf finanzielle Probleme zu untersuchen. Durch den Vergleich von Zahlungsausständen in den Reform- und Kontrollkantonen vor und nach der Reform, können wir den direkten Effekt des Auszahlungsmethode von generellen kantonalen Unterschieden trennen. Genau dies wäre beim erwähnten einfachen Kantonsvergleich nicht möglich gewesen. Bei derart einfachen Vergleichen besteht also die Gefahr, dass man falsche Schlüsse zieht.

Schwierige Datenlage

Zahlungsschwierigkeiten bei Prämienrechnungen vor und nach der Reform zu messen, stellt datentechnisch kein Problem dar. Die Unterscheidung zwischen Prämienverbilligungsbezügern und -nichtbezügern gestaltete sich allerdings deutlich schwieriger. Ein Hauptgrund für die weltweit fehlende empirische Evidenz bezüglich der Wirkung von Sach- und Geldtransfers liegt nämlich darin, dass im Falle von Geldtransfers zwei Datenquellen benötigt werden, die in der Regel nicht miteinander verknüpft sind. Einerseits erfordert eine solche Analyse Daten zu Zahlungsschwierigkeiten, welche im Normalfall bei privaten Unternehmen auftreten. Informationen dazu, welche Personen in welchem Umfang Unterstützungszahlungen erhalten, liegen jedoch — zumindest im Falle von Geldtransfers — bei den staatlichen Behörden. Auf dieses Hindernis stiessen wir auch bei der Prämienverbilligung in den Kantonen mit Geldtransfers bis 2013. Da dort die Empfänger unverbilligte Prämienrechnungen erhielten, informierten die Behörden die Krankenkassen nicht darüber, ob ein Versicherter Prämienverbilligung erhält. Leider ist in der Schweiz das Verknüpfen von administrativen Daten mit anderen Datenquellen kaum möglich — selbst für Forschungszwecke. Als Ausweg aus diesem Datenproblem entschieden wir uns, die Wahrscheinlichkeit, Prämienverbilligungen zu erhalten, für jeden Kunden in allen Kantonen in jedem Jahr zu schätzen. Mittels einer Kombination von mehreren Machine Learning Algorithmen konnten wir vorhersagen, wer Prämienverbilligungsbezugs bekam.

Grosse Effekte der Reform

Nun konnten wir die Harmonisierung des Auszahlungssystems im Jahr 2014 ausnutzen, um die Entwicklung der finanziellen Probleme bei Prämienverbilligungsbezügern in den Kontrollkantonen mit jenen in den Reformkantonen vor und nach der Reform zu vergleichen. Für diesen Zweck analysierten wir zwischen 2012 und 2019 bei insgesamt 22 Millionen Prämienrechnungen von über 600’000 Versicherten, ob eine Mahnung oder gar eine Betreibung eingeleitet wurde. Wie aus den beiden Grafiken ersichtlich ist, reduzierte die Reform die Mahn- und Betreibungswahrscheinlichkeit deutlich. Die Überweisung an die Krankenkasse hat die Mahnungswahrscheinlichkeit im Vergleich zu Geldtransfers um 20% gesenkt, während die Betreibungswahrscheinlichkeit um über 12% verringert wurde. Diese Verbesserungen kommen nicht nur den betroffenen Haushalten zugute, sondern entlasten auch die Steuerzahler, da die Kantone letztlich 85% der unbezahlten Prämien übernehmen müssen.

Evidenzbasierte Gesundheitspolitik

Wir konnten zeigen, dass Sachtransfers finanzielle Probleme beim subventionierten Gut deutlich besser verhindern. Könnte es aber sein, dass sich die Schwierigkeiten einfach zu anderen Haushaltsausgaben verschoben haben? Aus diesem Grund haben wir zusätzlich die Rechnungen für Kostenbeteiligungen an medizinischen Leistungen analysiert. Bei diesen eher unerwarteten (und nie subventionierten) Ausgaben fanden wir keine Veränderung in der Zahlungsmoral vor und nach der Reform. Wir können daher mit grosser Sicherheit sagen, Sachtransfers führen gesamthaft zu gesünderen Haushaltsfinanzen als Geldtransfers. Es ist also wichtig, im politischen Prozess nicht nur über die Höhe von staatlichen Unterstützungsleistungen zu diskutieren, sondern auch über deren Ausgestaltung. Der Wechsel der Auszahlungsmethode konnte viel Leid bei Empfängern verhindern, ohne dafür einen zusätzlichen Franken an Steuergeld zu kosten. Auch wenn in diesem Fall das Parlament 2012 trotz fehlender Evidenz richtig lag, sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass ohne Förderung von Forschung und dem konsequenten Einbezug der Erkenntnisse daraus in der Gesundheitspolitik grosse Wohlfahrtsgewinne für alle unrealisiert bleiben könnten.


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