Medikamente

Können gezielte Informationen Patienten zu Generika bewegen?

Generika bieten die gleiche Wirkung wie Originalmedikamente zu einem Bruchteil des Preises. Trotz finanzieller Anreize greifen viele Patienten weiterhin zu teureren Originalpräparaten. Kann gezielte Patienteninformation den Umstieg auf Generika erleichtern?

Nicolas Schreiner
Hauptautor
Autorinnen und Autoren

Die Gesundheitspolitik hat bisher stark auf finanzielle Anreize gesetzt, um den Wechsel zu Generika attraktiver zu machen. Dabei wird oft übersehen, dass Märkte nur dann effizient funktionieren, wenn Käufer und Verkäufer ausreichend informiert sind. Im Gesundheitssektor erschweren jedoch zahlreiche formelle und informelle Hürden den Informationsfluss für Patienten. So ist beispielsweise Werbung für Medikamente, die sich direkt an Patienten richtet, weitgehend verboten, und die grosse Anzahl an Präparaten macht den Markt unübersichtlich. Zudem haben Ärzte und Apotheker einen gewissen finanziellen Anreiz, ihre Patienten nicht umfassend über verfügbare Generika aufzuklären. Patienten befinden sich also in einem deutlichen Informationsnachteil, der ihre Entscheidungsfindung beeinträchtigt. Nichtsdestotrotz blieb auch bei der Generikasubstitution die Rolle von Patienteninformation bisher grösstenteils unbeachtet. Wissen aber Patienten beim Kauf von Arzneimitteln nichts von der Existenz günstiger Generika, können sie auch nicht auf die bestehenden Preisunterschiede reagieren.

Das Generika Mailing der CSS

Doch wie bei jedem bedarfsabhängigen Unterstützungsprogramm stellt sich die Frage, wie diese Transferzahlungen an die Empfänger gelangen. Einige Kantone entschieden sich, den Betrag Anfang Jahr direkt auf das Bankkonto der jeweiligen Empfänger zu überweisen. Bei diesen sogenannten “Geldtransfers” bezahlen Empfänger von Prämienverbilligungen dann die vollen Prämien selbst, wie alle anderen Versicherten auch. Andere Kantone hingegen überweisen das Geld direkt an die Krankenkassen, die die Prämienrechnung der Empfänger entsprechend kürzen. Das Ziel dieser sogenannten „Sachtransfers“ ist es, sicherzustellen, dass die Unterstützung tatsächlich für die Krankenversicherungsprämien verwendet wird. Bislang gab es weltweit jedoch kaum wissenschaftliche Evidenz dazu, ob Geld- oder Sachtransfers finanzielle Probleme wirksamer verhindern.

Gefahr die Wirkung zu überschätzen

Eine Möglichkeit zur Effektivitätsmessung wäre, einfach den Generikaanteil bei Patienten vor und nach dem Versand des Briefes zu vergleichen. Doch bei einem solchen Vorher-Nachher-Vergleich besteht jedoch das Risiko, den Effekt des Generikaschreibens zu überschätzten. Denn ein Teil der angeschriebenen Patienten hätte vermutlich auch ohne das Schreiben vom Original zu einem Generikum gewechselt. Zum einen prüfte das Versandsystem nicht, ob seit dem auslösenden Kauf bereits ein Generikakauf beim entsprechenden Medikament erfolgt war. Zum anderen wissen wir aus der Forschung, dass Konsumenten mit jedem wiederholten Kauf eines Produkts zunehmend an Kompetenz gewinnen und eher selbst nach Informationen zu Alternativen suchen. Solche «selbstständigen» Wechsel dürfen jedoch nicht dem Schreiben zugerechnet werden.

Verwandlung in ein natürliches Experiment

Um dennoch den kausalen Effekt des Schreibens zu ermitteln, mussten wir also nachträglich eine geeignete Kontrollgruppe finden. Dabei nutzen wir, dass die Generikakampagne nur ein kleiner Bestandteil der Kundenkommunikation war. Um Versicherte vor zu vielen Schreiben in kurzer Zeit zu bewahren, erhält jede Kommunikation bei der CSS eine interne Priorisierung. Stehen gleichzeitig mehrere Korrespondenzen an, wird zuerst diejenige mit der höchsten Priorität versandt, während alle anderen Schreiben vorerst für einige Wochen zurückgehalten werden. Da das Generikaschreiben wenig zeitkritisch war, wurde der Versand oft temporär blockiert. Dies führte zu einer quasi-zufälligen Verteilung des Zeitpunkts, zu dem Patienten die Information per Brief erhielten. So konnten wir nun bei jedem «n-ten» Kauf die Wahrscheinlichkeit eines Generikabezugs von Patienten, die den Brief zu diesem Zeitpunkt bereits erhalten hatten, mit denen vergleichen, die das Schreiben erst später erhielten. Dieser Vergleich ermöglicht es, den kausalen Effekt von anderen Faktoren zu isolieren und die tatsächliche Effektivität des Schreibens zu schätzen.

Patienteninformation mit grosser Wirkung

In unserer Analyse berechneten wir den durchschnittlichen Effekt des Generikaschreibens bei 60,000 Empfängern mit insgesamt 540,000 Medikamentenkäufen. Betrachten wir nur die drei Käufe vor und zwei Käufe nach Erhalt des Schreibens in einer sogenannten «Event Study», sehen wir, wie stark der Brief die Wahrscheinlichkeit eines Wechsels zu Generika erhöht. Beim ersten informierten Kauf springt der Generikaanteil sofort um rund 28 Prozentpunkte nach oben. Nehmen wir an, dass der Brief beim zweiten Kauf nach dem Versand auch noch weitere Patienten zum Wechseln motiviert, ergibt sich ein Gesamteffekt von 29 Prozentpunkten. Verglichen mit einer durchschnittlichen Generikaquote von etwa 10 Prozent vor Erhalt des Briefes entspricht das beinahe einer Vervierfachung der Generikaquote.

Information übertrifft finanzielle Anreize

Es gibt Versicherte, die beim ersten Kauf nach Erhalt des Briefes bereits keine Kostenbeteiligung für das restliche Jahr mehr bezahlen mussten. Auf der anderen Seite gibt es Versicherte, die zu diesem Zeitpunkt den Kaufpreis noch zumindest teilweise selbst tragen müssen. Ein Vergleich der beiden Gruppen zeigt, dass Versicherte ohne Kostenbeteiligung etwas weniger stark auf das Schreiben reagieren. Finanzielle Anreize haben also tatsächlich einen Effekt, der Unterschied beträgt jedoch nur etwa 2.5 Prozentpunkte. Selbst wenn die Wahl zwischen Generikum und Original für den Versicherten finanziell keinen Unterschied macht, verdreifacht das Schreiben immer noch die Wahrscheinlichkeit, auf ein Generikum zu wechseln. Information erweist sich somit als ein äusserst wirkungsvolles Instrument. Bemerkenswert ist, dass Information auch bei jenen wirkt, die keinen finanziellen Anreizen ausgesetzt sind. Diese Versicherten tragen also zur Kostenreduktion bei, ohne einen eigenen Vorteil daraus zu ziehen. Eine Stärkung der Patientensouveränität durch gezielte Information wirkt also deutlich breiter als finanzielle Anreize alleine.

Souveräne Patienten brauchen Information

Marktmechanismen wie die Kostenbeteiligung funktionieren erst dann wirklich gut, wenn alle Marktteilnehmer über ausreichende Informationen verfügen. Dies unterstreicht die bisher vernachlässigte Rolle von Patienteninformationen, gerade im Schweizer Gesundheitswesen, das von Patienten ähnliche Entscheidungen wie auf einem gewöhnlichen Gütermarkt erwartet. Gleichzeitig wird Patienten der Zugang zu dringend benötigten Informationen oft durch regulatorische Barrieren erschwert, die in dieser Form auf anderen Produktmärkten nicht vorhanden sind. So wurde das Generika Mailing der CSS aufgrund eines Kreisschreibens des Bundesamts für Gesundheit (BAG) verboten und im Jahr 2022 eingestellt. Als Folge bleiben die Leistungserbringer als einzige Informationsquelle, was nicht nur in Bezug auf finanzielle Kosten, sondern auch hinsichtlich des Zeitaufwands enorm ineffizient ist. Zudem werden Patienten in Situationen gedrängt, in denen ihre einzige Informationsquelle von der getroffenen Entscheidung direkt finanziell profitieren kann. Hier wäre die Politik gefordert, die Vorteile, der Digitalisierung für die Informierung von Patienten gesetzlich zu ermöglichen. Denn souveräne Patienten bedeuten letzltlich ein für alle besser funktionierendes Gesundheitssystem.