Kostenbeteiligung

Lässt sich das Gesundheitssystem vor Überlastung schützen, ohne dabei das Patientenwohl zu gefährden?

In der Grundversicherung haben die Versicherten im Jahr 2022 durchschnittlich 581 Franken aus der eigenen Tasche bezahlt. Aber wieso gibt es diese Kostenbeteiligung überhaupt, wie ist sie ausgestaltet und weshalb ist sie politisch umstritten? Darauf gehen wir im Folgenden näher ein.

581 CHF

Die Krankenversicherung dient dazu, die finanziellen Folgen von Krankheit zu mildern. Sie übernimmt im Krankheitsfall einen Grossteil der Behandlungskosten, selbst wenn diese die von erkrankten Person bezahlten Versicherungsprämien übersteigen. Dadurch kommt es zu einem Transfer von gesunden zu erkrankten Personen, was dem Sinn und Zweck einer Versicherung entspricht. Dass eine Person im Krankheitsfall die Behandlungskosten grösstenteils nicht selbst tragen muss, hat jedoch einen unerwünschten Nebeneffekt: Durch die Versicherungsdeckung entsteht ein Anreiz, mehr Leistungen nachzufragen, als man nachfragen würde, wenn man die Behandlungskosten vollumfänglich selbst bezahlen müsste. Diese Erhöhung der Nachfrage wird als «Moral Hazard» bezeichnet. Zahlreiche empirische Studien, darunter auch grosse, randomisierte Experimente, lassen den Schluss zu, dass «Moral Hazard» existiert und sich mittels einer Kostenbeteiligung reduzieren lässt. Die Kostenbeteiligung soll also verhindern, dass zu viel Leistungen in Anspruch genommen werden.

Kostenbeteiligung anhand eines Beispiels verstehen

Ausgestaltung der Kostenbeteiligung

Die Kostenbeteiligung besteht aus der «Franchise» und dem «Selbstbehalt». Bei der Franchise gibt es gewisse Wahlmöglichkeiten, der Selbstbehalt ist hingegen fix zehn Prozent mit festem Höchstbetrag. In der Grafik betrachten wir drei erwachsene Personen und nehmen an, dass sie alle die tiefste Franchise von 300 Franken gewählt haben; der Höchstbetrag des Selbstbehalts für Erwachsene beträgt 700 Franken. Die erste Person hat derzeit Leistungen im Umfang von 150 Franken in Anspruch genommen. Weil sie damit unter der Franchise liegt, muss sie alles selbst bezahlen. Die zweite Person hat 5'500 Franken an Leistungen bezogen. Davon bezahlt sie die Franchise und zusätzlich zehn Prozent des die Franchise übersteigenden Betrags von 5'200 Franken, also 300 plus 520 macht 820 Franken. Die Versicherung zahlt somit 4'680 Franken der Behandlungskosten. Die dritte Person hat Leistungen im Umfang von 8'000 Franken in Anspruch genommen. Auch sie bezahlt die Franchise und den Selbstbehalt von zehn Prozent. Allerdings ist dieser auf maximal 700 Franken begrenzt, was hier zum Tragen kommt. Die Person zahlt also 1'000 Franken aus der eigenen Tasche, die restlichen 7'000 Franken werden von der Versicherung bezahlt. Weil die Kostenbeteiligung jährlich anfällt, muss sich die dritte Person bis zum Beginn des neuen Jahres nicht weiter an ihren Kosten beteiligen, selbst wenn sie weitere Leistungen in Anspruch nimmt. Bei den anderen beiden Personen fällt hingegen weiterhin eine Kostenbeteiligung an, bis sie den Höchstbetrag des Selbstbehalts erreichen.

37'728

Mio. CHF betrugen die Kosten in der Grundversicherung (2022)

13.5%

haben die Versicherten aus der eigenen Tasche bezahlt

Obwohl die Kostenbeteiligung kostensenkend und damit prämiendämpfend wirkt, ist sie aus sozial-politischer Sicht teilweise umstritten. Einerseits ist die Kostenbeteiligung unabhängig von Einkommen und Vermögen der versicherten Personen. Damit stellt sich für ärmere Menschen eine höhere finanzielle Belastung dar. Entsprechend gibt es bei der Festlegung der Höhe der Kostenbeteiligung einen Zielkonflikt zwischen der Kostenreduktion und der Sozialverträglichkeit. Die letzte Anpassung von Franchise und Höchstbetrag des Selbstbehalts fand 2004 statt. Es gab seither zwar einige Versuche, die Kostenbeteiligung zu erhöhen, sie sind aber alle an diesem Zielkonflikt zu Gunsten der Sozialverträglichkeit gescheitert. Andererseits wird gelegentlich die Vermutung geäussert, dass versicherte Personen eigentlich notwendige Leistungen nicht in Anspruch nehmen, weil sie die Kostenbeteiligung nicht bezahlen können. Dies habe negative Auswirkungen auf den medizinischen Zustand, was in der Folge zu höheren Kosten führe. Um dem etwas entgegenzuwirken, ist die Kostenbeteiligung für gewisse Personen tiefer angesetzt (Kinder und Schwangere).

Der vorhandene Zielkonflikt verlangt grundsätzlich nach einer politischen Entscheidung. Diese ist aber nur dann möglich, wenn Klarheit darüber herrscht, welche Wirkung die Kostenbeteiligung hat – sowohl erwünschte wie auch unerwünschte. In unseren unten aufgeführten Forschungsprojekten geht es deshalb darum, die Auswirkungen der Kostenbeteiligung besser zu verstehen, um belastbare Grundlagen für den politischen Entscheidungsprozess zu schaffen.