Wie kann sichergestellt werden, dass alle Menschen fairen und bezahlbaren Zugang zum Gesundheitssystem haben?
In der Schweiz ist die finanzielle Belastung der Gesundheitskosten für einkommensschwache Haushalte aufgrund des Versicherungsobligatoriums mit einkommensunabhängigen Kopfprämien ein besonders relevantes Thema. Die individuelle Prämienverbilligung (IPV) soll hier Abhilfe schaffen und bietet mit ihrer kantonalen Organisation spannende Möglichkeiten für die ökonomische Forschung.
Weltweit stehen Industrieländer vor der Herausforderung, den finanziellen Zugang zum Gesundheitswesen für alle Bürger sicherzustellen. Staatliche Gesundheitssysteme sind mit steigenden Ausgaben konfrontiert, die durch Steuergelder gedeckt werden müssen, welche in Folge möglicherweise an anderen Stellen fehlen. Im Gegenzug sehen sich Länder mit privaten Versicherungsmodellen mit steigenden Prämien konfrontiert, welche potenziell unerschwinglich für Haushalte mit tiefen Einkommen sind. So ist das Obligatorium zur Krankenversicherung zwar ein wichtiger Pfeiler des Schweizerischen Gesundheitssystems, doch mit einkommensunabhängigen Kopfprämien ist die Finanzierung des Gesundheitssystems ein noch direkter spürbares Problem für Menschen in schwierigen Finanzlagen als in anderen Ländern.
Gestaltung von Transferleistungen
Im politischen Diskurs wird meistens über die Höhe von Transferleistungen debattiert. Doch die ökonomische Forschung zeigt, dass die konkrete Ausgestaltung von Subventionen oft genau so bedeutend für ihren Erfolg ist. Die kantonale Hoheit bei der IPV führt zu grossen Unterschieden zwischen den Systemen und dadurch auch zu spannenden Chancen, um die Effizienz der einzelnen Subventionsmechanismen empirisch zu analysieren.
Ein grosser Unterschied bei der IPV zwischen den Kantonen betraf die Auszahlung der IPV. Bis einer vom Bund angeordneten Harmonisierung im Jahr 2014 konnten die Schweizer Kantone selbst entscheiden, ob sie die IPV-Beiträge direkt auf das Konto der Versicherten auszahlen oder an die Krankenkassen überweisen, wodurch die Prämien automatisch reduziert wurden. Christian P.R. Schmid und Nicolas Schreiner vom CSS Institut, gemeinsam mit Alois Stutzer von der Universität Basel, nutzten diese Reform, um die Auswirkungen auf die finanziellen Probleme der unterstützten Personen zu untersuchen. Sie verglichen die Daten aus Kantonen, die von der Umstellung betroffen waren, mit denen aus Kantonen, die ihre Praxis nicht ändern mussten.
Die Umstellung der Auszahlung führte sofort und nachhaltig zu 20% weniger Mahnungen bei den Prämienrechnungen, während Betreibungen um 12% abnahmen. Gleichzeitig gibt es keine Hinweise darauf, dass die Haushalte nun bei anderen Ausgaben in Zahlungsschwierigkeiten gerieten. Durch die evidenzbasierte Gestaltung der Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem können sozialpolitische Ziele also effektiver erreicht werden, ohne nur einen einzigen zusätzlichen Franken auszugeben— selbst mit einer scheinbar kleinen Anpassung wie bei der Auszahlungsmethode der IPV.
Um finanzielle Ungerechtigkeiten abzufedern, wurde mit dem Krankenversicherungsgesetz (KVG) die individuelle Prämienverbilligung eingeführt. Der Bundesrat betonte in seiner Botschaft an das Parlament, dass das Ziel der Krankenversicherung nicht nur die Solidarität zwischen Gesunden und Kranken sein sollte, sondern auch zwischen Reichen und Armen. Die Prämienverbilligung betrifft jedoch nur die Prämien und nicht die Kostenbeteiligungen wie Franchise und Selbstbehalte. Trotz der hohen jährlichen Ausgaben von über 5 Milliarden Franken existiert dazu nur wenig Forschung mit zeitgemässen Methoden. Dies wirft die Frage auf, ob die IPV genügend effizient gestaltet ist, um finanzielle Gerechtigkeit im Gesundheitssystem zu gewährleisten. Obwohl der Bund rund 50% der Kosten der IPV trägt, liegt die Umsetzung in der Verantwortung der Kantone. Dies führt zu erheblichen Unterschieden wie beispielsweise in der Grosszügigkeit der Unterstützung und den Kriterien für die Anspruchsberechtigung. Die föderale Struktur der Schweiz bietet somit einzigartige Möglichkeiten für die Forschung, die Effekte dieser unterschiedlichen Ansätze in der Prämienverbilligung, aber auch für Transferleistungen generell, zu untersuchen. Kausale empirische Analysen können so evidenzbasierte Grundlagen liefern, um den Zugang zu Gesundheitsversorgung für alle nachhaltig sicherzustellen.
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