Leistungs­erbringer

Was passiert, wenn der Hausarzt in Rente geht?

Die Zahl der Hausärzte nimmt aufgrund von zunehmenden Pensionierungen und Nachwuchsmangel stetig ab. Was geschieht nun mit den Patienten, welche deshalb einen neuen Leistungserbringer finden müssen?

Linn Hjalmarsson
Hauptautorin
Autorinnen und Autoren

Laut Umfragen haben 90% der Schweizer Bevölkerung einen Hausarzt.  Die Hausarztmedizin ist Teil der Grundversorgung und bildet eines der Fundamente des Schweizer Gesundheitssystems, da sie eine einfache und kostengünstige Anlaufstelle bei gesundheitlichen Problemen bietet. Hausärzte erbringen jedoch nicht nur selbst Gesundheitsleistungen, sie entscheiden auch, ob ein Patient an einen Spezialisten überwiesen werden sollte oder nicht. Über die Zeit sammeln Hausärzte so wertvolle Informationen zu ihren Patienten und bauen bei ihnen Vertrauen auf. Diese enge, oft langjährige Beziehung zwischen Arzt und Patient — die sogenannte interpersonale Kontinuität — führt gemäss einer Vielzahl von Studien zu einer effizienteren Gesundheitsversorgung.

Verlust des Hausarztes

Auch Hausärzte werden jedes Jahr älter und gehen irgendwann in den Ruhestand. Durch dieses Ereignis wird die langjährige Arzt-Patienten-Beziehung plötzlich unterbrochen. Zudem wird der Zugang zur Grundversorgung schwieriger, falls der Hausarzt keinen geeigneten Nachfolger für die Praxis findet. Aber auch bei einer geregelten Nachfolge hat der neue Arzt womöglich einen anderen Praxisstil, was für die Patienten gewisse Anpassungen bedeutet. Für gesundheitspolitische Massnahmen muss genau verstanden werden, wie jeder dieser drei Wirkungskanäle die Grundversorgung beeinflusst. Die bisherige Literatur konnte bisher nur die Gesamtfolgen aus dem Verlust des Hausarztes untersuchen. Zum Beispiel findet die Mehrheit früherer Studien zwar eine Verschiebung hin zur oftmals teureren Sekundärversorgung, die genauen Ursachen dahinter verbleiben jedoch unklar.

Praxisübergaben

Damit wir die Wirkungskanäle einzeln identifizieren und quantifizieren können, fokussieren wir uns explizit auf Praxisübergaben, bei denen der pensionierte Arzt einen Nachfolger für die Arztpraxis gefunden hat. Dementsprechend bleibt für die Patienten der Zugang, der Weg zur Arztpraxis und oft auch das weitere Personal gleich — nur der Hausarzt ändert sich. Dies erlaubt uns, die Auswirkungen der interpersonalen Diskontinuität und des Praxisstils des Arztes, ohne Veränderungen im Zugang, zu untersuchen. Während die Diskontinuität eher kurzfristig wirkt, da mit dem neuen Arzt nach einer gewissen Zeit wieder eine Arzt-Patienten-Beziehung aufgebaut wird, sind hingegen die Folgen des Praxisstils oft langfristiger Natur. Durch die Unterteilung der Effekte in kurz- und langfristig, können wir also die Wirkungen der oben genannten Kanäle getrennt identifizieren.

Kausale Analyse

Wir wenden eine Version der Differenzen-in-Differenzen Methode an, bei der wir die Entwicklung zwischen den Patienten, die von einer Praxisübergabe betroffen sind, und einer Gruppe von ähnlichen Patienten, die zum gleichen Zeitpunkt keine Praxisübergabe erleben, vergleichen. Unter der Annahme, dass sich die beiden Gruppen über die Zeit gleich entwickelt hätten, sofern niemand von einer Praxisschliessung betroffen gewesen wäre, ermöglicht dieses Vorgehen die Identifikation von kausalen Effekten, wie bei einem klassischen randomisierten Experiment. Dabei betrachten wir verschiedene Ergebnisse in den Kategorien Gesundheitsnutzung, Kosten und Hospitalisierungen.

Hauptergebnisse

Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine Praxisübergabe kurzfristig zu einem Anstieg der Gesamtzahl an Arztbesuchen und der Gesundheitskosten führt (Grund- und Sekundärversorgung). Diese Beobachtung kann hauptsächlich durch die neuerliche Bestandsaufnahme des Gesundheitszustandes der Patienten durch den neuen Hausarzt erklärt werden. In der langen Frist stellen wir eine persistente Zunahme in der Nutzung der Sekundärversorgung, den Kosten im ambulanten Bereich, Kosten für Laboranalysen und den Kosten pro Arztbesuch fest. Dies kann durch einen veränderten Praxisstil der neuen Ärzte erklärt werden, welche im Schnitt deutlich jünger und häufiger Frauen sind. Frühere Studien haben gezeigt, dass Praxisstile gerade entlang von diesen Merkmalen teils stark variieren. So führen Frauen beispielsweise häufiger Laboranalysen durch, verweisen eher an einen Spezialisten und verbringen mehr Zeit mit ihren Patienten, was alles konsistent mit unseren Ergebnissen ist.

Zugang als Knackpunkt

Im Gegensatz zu unserer früheren Studie, in der wir explizit Praxisschliessungen ohne geregelte Nachfolge analysiert haben, finden wir bei Praxisübergaben keinen Rückgang in der Nutzung der Grundversorgung. Im Gegenteil, wir finden sogar Evidenz für einen potenziellen Anstieg der Qualität der Grundversorgung. Wir beobachten einen signifikanten Anstieg in der Prävalenz von häufigen chronischen Krankheiten, die anhand der verschriebenen Medikamente erkannt werden können. Dies kann einerseits darauf zurückzuführen sein, dass der neue Hausarzt zuvor unbemerkte Krankheiten diagnostiziert oder aber auch die Präferenz bezüglich des Einsatzes von Medikamenten widerspiegeln. Letzteres ist wiederum durch unterschiedliche Praxisstile zu erklären. Insgesamt zeigt unsere Studie, dass, sofern der Zugang zur Primärversorgung gewährleistet ist, ein Hausarztwechsel zwar zu einem leichten Kostenanstieg führt, jedoch auch die Behandlungsqualität positiv beeinflusst wird. Ein solcher Wechsel kann sich also positiv auf die Gesundheit der Patienten auswirken.

Empfehlungen für die Gesundheitspolitik

Im Hinblick auf die bevorstehende Pensionierungswelle bei Hausärzten sollte die Politik sicherstellen, dass der Zugang zur Grundversorgung erhalten bleibt. Während Praxisschliessungen ohne Nachfolger, insbesondere in ländlichen Regionen, negative Effekte auf die Gesundheitsversorgung haben, ist dies bei Praxisübergaben nicht zu beobachten. Diese Erkenntnisse unterstreichen, dass eine unterbruchslose Grundversorgung anzustreben ist, damit ein kosteneffizientes Gesundheitssystem bestehen kann. Beispielsweise kann den Patienten von pensionierten Hausärzten ohne geregelte Nachfolge geholfen werden, einen passenden, neuen Hausarzt zu finden. Alternativ könnten auch andere medizinische Fachkräfte vorübergehend eingesetzt werden, um gewisse Gesundheitsleistungen zu erbringen, wie dies auch in den USA mit den «practical nurses» gemacht wird.


Dateien zu dieser Publikation
Linn Hjalmarsson
Research Affiliate
Tamara Bischof
ehemalige Doktorandin Universität Bern
Boris Kaiser
Senior Berater BSS Basel