Kosten­beteiligung

Was sind die Auswirkungen der Kostenbefreiung während einer Schwangerschaft?

Welche ökonomischen, sozialen und gesundheitlichen Konsequenzen hat eine Kostenbeteiligung während der Schwangerschaft, und wie stark steigen die Kosten, wenn diese Kostenbeteiligung wegfällt? Antworten auf diese Fragen ermöglichen einen zielgerichteten Einsatz der Kostenbeteiligung als Steuerungsinstrument im Gesundheitssystem.

Philip Hochuli
Hauptautor
Autorinnen und Autoren

In der Schweiz sind Frauen vor und nach der Geburt eines Kindes in der Grundversicherung gänzlich von der Kostenbeteiligung befreit. Diese Befreiung geht auf mehrere parlamentarischen Vorstösse zurück, die schliesslich im Jahr 2013 zu einer Gesetztesanpassung führte, die am 01. März 2014 in Kraft trat. Seither unterliegen sämtliche Leistungen, die durch die Grundversicherung gedeckt sind, ab Beginn der 13. Schwangerschaftswoche bis 8 Wochen nach der Niederkunft nicht mehr der Kostenbeteiligung (erste Grafik). Dies entspricht einer Ausweitung des Versicherungsschutzes während der Schwangerschaft. Ziel der Gesetzesänderung war es, zu verhindern, dass schwangere Frauen mit Komplikationen während der Schwangerschaft mehr zahlen müssen als Schwangere ohne Komplikationen. Im Fokus standen also nicht Kostenüberlegungen, sondern Argumente hinsichtlich Fairness und Ungleichheit zwischen Schwangeren. Dies zeigt sich unter anderem auch darin, dass das Parlament keine Kostensteigerung durch eine Nachfragezunahme erwartete. Unsere Forschungsarbeit beleuchtet, ob die Erwartung des Parlaments korrekt war. Weiter bietet sie Einblicke in die gesundheitlichen und sozialen Implikationen dieser Kostenbeteiligungsbefreiung.

Schwangerschaftswochen im Vergleich

Unsere Studie basiert auf Daten der CSS für den Zeitraum zwischen 2012 und 2019, mit durchschnittlich knapp 13'500 Geburten pro Jahr. Für unsere statistische Analyse nutzen wir aus, dass in den Daten Schwangerschaften enthalten sind, die noch nicht von der Kostenbeteiligung befreit waren, die Niederkunft also vor dem 01. März 2014 liegt. Weiter hilft uns, dass Leistungen innerhalb der ersten zwölf Wochen auch nach der Gesetzesanpassung der Kostenbeteiligung unterlagen. Somit können wir Schwangerschaftswoche über die Zeit sowie mit und ohne Kostenbeteiligung vergleichen. Wir wenden hierfür ein sogenanntes Differenz-in-Differenzen-Modell an, um die Auswirkungen der Kostenbeteiligungsbefreiung zu quantifizieren.

Physiotherapie- und Laborleistungen werden mehr nachgefragt

Unsere Analyse zeigt, dass die Abschaffung der Kostenbeteiligung zu einem leichten Anstieg der Gesamtausgaben führte. Dies entgegen den ursprünglichen Erwartungen des Gesetzgebers, dass diese Massnahme zu keiner Nachfragezunahme führt. Der Kosteneffekt wird dabei vor allem bei bestimmten Leistungen deutlich. So steigen die Leistungen der Physiotherapie um 30% und die Nachfrage nach Laborleistungen um 5%. Erwartungsgemäss finden wir demgegenüber bei stationären Leistungen keinen Nachfrageeffekt. Bei diesen Leistungen spielt die Kostenbeteiligung kaum eine Rolle auf den Entscheid, solche Leistungen in Anspruch zu nehmen oder nicht.

Tiefe Einkommen profitieren

Ein zentrales Ergebnis unserer Forschung besteht darin, dass sich die Auswirkungen der Gesetzesanpassung vollständig bei tiefen Einkommen (Einkommen unterhalb des Medians) zeigen. Bei dieser Einkommensgruppe steigen die Gesamtleistungen um rund 5% an, während die Physiotherapie- und Laborleistungen  sogar um 50% bzw. 10% ansteigen (zweite Grafik). Als Ergebnis davon sehen wir eine Konvergenz im Leistungsbezug zwischen tiefen und hohen Einkommen während der Schwangerschaft, d.h., es kommt zu einer Reduktion der Ungleichheit.

Gesundheit der Neugeborenen

Im letzten Teil unserer Analyse untersuchen wir, ob die Gesetzesanpassung zu einem positiven gesundheitlichen Effekt auf Neugeborene führte. Wir nutzen dazu die Tatsache, dass Personen mit tieferen Einkommen mit einer Erhöhung der Nachfrage reagieren, während die hohen Einkommen dies nicht tun. Aufgrund eines Vergleichs der Entwicklung der durchschnittlichen Morbidität der Neugeborenen nach Einkommen schliessen wir, dass die Aufhebung der Kostenbeteiligungen die Gesundheit der Neugeborenen (bei tiefen Einkommen) positiv beeinflusste. Unsere Forschung deutet also auf eine leichte Verbesserung der Gesundheit von Neugeborenen aus einkommensschwächeren Familien hin, was auf die positiven Effekte der erhöhten Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen während der Schwangerschaft zurückzuführen sein könnte.

Fazit und Ausblick

Die Abschaffung der Kostenbeteiligung hat die finanzielle Belastung für werdende Mütter reduziert und die aus politischer Sicht unerwünschte Tatsache, dass Frauen mit Schwangerschaftskomplikationen mehr bezahlen müssen als Frauen ohne Schwangerschaftskomplikationen, behoben. Unsere Forschung zeigt, dass die Regulierungsänderung jedoch weitere Auswirkungen in den Dimensionen Kosten, Ungleichheit und Gesundheit hatte. Insbesondere zeigen wir, dass vor allem tiefere Einkommen von der Gesetzesänderung profitieren, bei welchen sogar ein positiven Einfluss auf die Gesundheit der Neugeborenen vorzuliegen scheint.

Die Befreiung von der Kostenbeteiligung hat aber auch ihren Preis: Sie führt zu einem deutlichen Anstieg der nachgefragten Leistungen und damit zu höheren Gesamtkosten.

Wir schätzen diese Mehrkosten auf 150 Franken pro Schwangerschaft oder, auf die Schweiz hochgerechnet, auf 6 – 7 Mio. Franken pro Jahr. Zusätzlich kommt es zu einer Verlagerung von Gesundheitskosten von den schwangeren Frauen zu den Krankenkassen, also zu den Prämienzahlern, im Umfang von 40 – 50 Mio. Franken pro Jahr.

Unsere Studie illustriert damit den Zielkonflikt bei der Festlegung der Kostenbeteiligung: Wird sie tiefer angesetzt, kommt es zu einer Nachfragesteigerung und damit zu höheren Kosten. Dafür nimmt auch die Ungleichheit ab und gegebenenfalls verbessert sich sogar die Gesundheit. Erhöht man die Kostenbeteiligung hingegen, treten die gegenteiligen Effekte ein. Durch eine differenzierte Ausgestaltung, wie sie im vorliegenden Fall für werdende Mütter zur Anwendung kommt, lässt sich dieser Zielkonflikt jedoch bis zu einem gewissen Grad entschärfen.