Was treibt das Wachstum der Gesundheitskosten an?
Zwischen 2012 und 2021 sind die jährlichen Grundversicherungskosten pro Person um 579 Franken gestiegen. Die oft genannte Alterung der Gesellschaft wird dabei als Faktor überschätzt. Vielmehr sind die Kosten pro Kontakt mit dem Gesundheitssystem deutlich gewachsen.
Im Jahr 2012 bezog eine bei der CSS versicherte Person durchschnittlich Gesundheitsleistungen in der Grundversicherung von 3,396 Franken pro Jahr; 2021 waren dies bereits 3,975 Franken. Der Anstieg von 579 Franken pro Person lässt sich auf mehrere Faktoren zurückführen, die wir im Folgenden näher beleuchten. Eine Analyse, wohin die zusätzlichen 579 Franken geflossen sind, zeigt, dass nicht alle Bereiche des Gesundheitssystems gleichermassen zum Kostenwachstum beigetragen haben. Während die Kosten pro versicherte Person für stationäre Spitalleistungen um 57 Franken sanken, stiegen die Ausgaben für die Pflege, Laboranalysen und Physiotherapie moderat um jeweils 60 Franken.
Arztleistungen und Medikamente mit grösstem Anstieg
Zwei Kategorien sind dagegen hauptverantwortlich für die Zunahme der Gesundheitskosten. Erstens die Ausgaben für Medikamente, die um fast 150 Franken pro Versicherten stiegen. Zweitens die ambulanten Arztleistungen, die mit 316 Franken pro Person über die Hälfte des gesamten Kostenwachstums ausmachten. Dieser Anstieg könnte teilweise der zunehmenden Ambulantisierung geschuldet sein, da die stationären Kosten gesunken sind. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass die Verschiebung in den ambulanten Bereich für Spitäler eher ein Nullsummenspiel war (die Grundversicherung übernimmt nur 45% der stationären Kosten). Arztleistungen, welche in Praxen ausserhalb von Spitälern erbracht wurden, leisteten mit 211 Franken pro versicherte Person den grössten Einzelbeitrag zum Kostenwachstum.
Nur Veränderungen können Veränderungen erklären
Wechseln wir die Perspektive, von wo die zusätzlichen Ausgaben hingeflossen sind, zur Frage warum diese überhaupt so viel höher wurden. Dabei ist wichtig zu beachten, dass wir hier nur die Veränderung in den Gesundheitskosten pro Person betrachten. Die Ursachen des Kostenwachstums müssen sauber von Erklärungen des Kostenniveaus getrennt werden. Das Alter kann hier als illustratives Beispiel dienen. Ältere Menschen haben durchschnittlich deutlich höhere Gesundheitsausgaben als junge Menschen. Die Anteile verschiedener Altersgruppen in der Bevölkerung können somit erklären warum im Jahr 2012 über alle Personen hinweg die Durchschnittkosten bei 3,396 Franken lagen, nicht aber den Anstieg auf 3,975 Franken pro Person 10 Jahre später. Damit das Alter ein Faktor in dieser Kostenveränderung sein kann, muss entweder der Anteil älterer Personen in der Gesamtbevölkerungen zugenommen haben, sprich Alterung, oder die Kosten älterer Menschen müssen überdurchschnittlich gewachsen sein. Letzteres wäre jedoch nicht die oft genannte Alterung, sondern nur eine altersspezifische Teuerung.
Alterung keinen Einfluss auf 579 Franken Kostenwachstum
Hat also der Anteil älterer Menschen bei der CSS im betrachteten Zeitraum zugenommen? Sogar das Gegenteil war der Fall, bei der CSS sank der Anteil der über 65-Jährigen von 17,7% im Jahr 2012 auf 17,5% im Jahr 2021. Folglich fand bei den Versicherten der CSS während diesen 10 Jahren keine Alterung statt und konnte so auch kein Treiber des Anstiegs um 579 Franken sein. Ein Vergleich mit der Gesamtschweiz zeigt aber, dass sich das Kollektiv der CSS leicht unterschiedlich zum Rest des Landes entwickelt hat. Im Jahr 2012 war 17.0% der Bevölkerung über 65 Jahre alt, 2021 war dieser Anteil auf 18.0% angewachsen. Die Kosten pro Versicherten über die gesamte Schweiz nahmen in diesem Zeitraum um 884 Franken zu. Um den Effekt der Alterung auf das Kostenwachstum der Schweiz zu eruieren, nehmen wir die tatsächlichen Kosten aus dem Jahr 2021, aber gewichten die Bevölkerungsstruktur mit den Anteilen der Altersgruppen von 2021 um. Hätte auch in der Schweiz keine Alterung stattgefunden, sich im Gesundheitssystem aber sonst alles gleich entwickelt wie in der Realität, wären die Kosten pro versicherte Person um 759 Franken gestiegen. Lediglich 125 Franken (16%) von den insgesamt 884 Franken waren also auf die Alterung der Gesellschaft zurückzuführen. Somit sind andere Faktoren für den Kostenanstieg deutlich relevanter.
Je jünger, desto schneller das relative Wachstum
Wie oben erwähnt, kann das Alter aber auch einen Einfluss haben, falls die Altersgruppen unterschiedlich starkes Wachstum in den Kosten pro Kopf in der jeweiligen Gruppe aufweisen. Interessanterweise sind es aber die jüngeren Versicherten, bei denen die Gesundheitsleistungen von 2012 bis 2021 am schnellsten angestiegen sind. Die über 85-jährigen verzeichneten ein relatives Kostenwachstum von 14%, die 66 bis 85-jährigen 16%, bei den 46 bis 65-jährigen und 26 bis 45-jährigen waren es jeweils 18%, doch bei den Personen bis 25 Jahren lag der relative Anstieg bei 27%. Obwohl ältere Menschen aufgrund ihres höheren Ausgangsniveaus in absoluten Zahlen verhältnismässig grossen Anteil zu den 579 Franken insgesamt beitrugen, ist der relative Anstieg bei den Jüngeren ein bemerkenswerter Trend.
Mehr Leistungen pro Patient, nicht mehr Patienten
Waren 2021 mehr Personen auf medizinische Leistungen angewiesen als noch 2012? Nur geringfügig: Der Anteil der Versicherten, die Leistungen in Anspruch nahmen, stieg von 80% auf 82%. Nur bei jüngeren Erwachsenen gab es auffällig mehr Personen, welche mindestens einen Kontakt mit dem Gesundheitssystem hatten. Insgesamt haben somit fast ausschliesslich die Kosten pro Patient zugenommen – wer medizinische Leistungen in Anspruch nahm, erhielt 2021 mehr oder teurere Behandlungen als noch 10 Jahre zuvor.
Neue Medikamente als wesentlicher Kostentreiber
In kaum einem anderen Bereich hat die Gesellschaft so stark vom technischen Fortschritt profitiert wie im Gesundheitsbereich. Aufgrund der Datenlage im Schweizer Gesundheitssystem ist dieser jedoch nur sehr schwer messbar. Nur bei den Medikamenten lässt sich relativ einfach beobachten, welche Produkte oder Leistungen hierzulande im Gegensatz zu vergangenen Jahren neu in den Leistungskatalog aufgenommen wurden. 2021 hat bereits fast ein fünftel der Versicherten ein Medikament bezogen, welches 2012 noch nicht auf dem Markt war. Interessanterweise hatte dies aber keine Auswirkungen auf den Anteil der Versicherten, welche ein vor 2012 erschienenes Medikament bezogen, denn dieser blieb über die Jahre konstant bei knapp 75%. Betrachten wir zum Schluss die Auswirkungen der Medikamente auf den gesamten Kostenanstieg, so ergeben sich zwei sehr unterschiedliche Bilder. Bei älteren Medikamenten lässt sich eine deutliche Abnahme in den Kosten pro versicherte Person feststellen. Hätte es 2021 nur schon 2012 erhältliche Medikamente gegeben, wären die Kosten rund 50 Franken tiefer gewesen. Komplett anders sieht es bei Medikamenten aus, welche 2021 seit maximal neun Jahren in der Schweiz zugelassen waren. Diese allein waren mit fast 200 Franken für über einen Drittel des Kostenwachstums von insgesamt 579 Franken pro versicherte Person verantwortlich. Dort, wo meistens alternative Generika existieren und somit Marktmechanismen einen Einfluss auf die Preise haben sinken demnach tendenziell die Kosten.
Kostensteigerung sicher, Nutzen unklar
Innerhalb von 10 Jahren sind die Kosten pro versicherten Person bei der CSS also um 579 im Jahr gestiegen. Die Alterung spielt hierbei eine untergeordnete Rolle, tendenziell steigen die Kosten bei jenen Gruppen am stärksten, welche bisher am günstigsten waren. Gleichzeitig scheint keine merkliche Ausweitung der Personen welche auf medizinische Behandlungen angewiesen waren stattgefunden zu haben. Ein Kontakt mit dem Gesundheitssystem ist jedoch deutlich teurer geworden als noch vor 10 Jahren. Dieser Kostenanstieg scheint dabei vor allem dort stattgefunden zu haben, wo Leistungen ohne Einschränkungen durch Pauschalen abgerechnet werden können und wenn die Preise zentral durch staatliche Behörden anstatt Marktmechanismen gesetzt werden. Doch die Kosten sind selbstverständlich nur ein Teil der Geschichte. Leider können wir keine Aussagen machen, was wir als Gesellschaft für diese zusätzlichen 579 Franken pro Personen und Jahr im Gegenzug erhalten haben. Die dazu nötigen Daten, wie ambulante Diagnosen, fehlen in der Schweiz, selbst für Forschungszwecke, auch im Jahr 2024 weiterhin.